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Grußwort zum Tag der Rechtschreibung 2023


Sehr geehrte Damen und Herren Interessierte,
liebe Freunde der bewährten Rechtschreibung!

Aus dem fernen Stuttgart seien alle gegrüßt, die sich dem Druck nicht gebeugt und die der Vernunft den Vorzug gegeben haben, sowie alle, die Behauptungen nicht einfach glauben, sondern ihren Verstand benutzen wollen.

Der Anlaß für die Durchsetzung der Rechtschreibreform war ein rein politischer, nicht etwa ein inhaltlicher. So unwahrscheinlich, wie es für diejenigen, die sich noch nie mit dem Thema befaßt haben, auch klingen mag:
Kein einziger Punkt der Reform war eine Verbesserung der Schriftsprache.

Dies ist eine Behauptung, deren Nachweis wegen der Überprüfung aller Einzelfälle zeitraubend war, den aber viele fleißige Sprachfreunde erbracht haben. Auf die große Zahl an Einzelfällen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, jedoch kann heute abend ein Grundgedanke vorgestellt werden, der diese zunächst verblüffend klingende Behauptung nachvollziehbar macht und der abschließend an einem Beispiel veranschaulicht wird.

Unsere Art zu schreiben ist nicht von vorneherein durch Regeln festgelegt worden, sondern hat sich durch ständigen Gebrauch an Zweckmäßigkeiten wie Lesefreundlichkeit, Widerspruchsfreiheit oder Stammprinzip entwickelt. In einem Prozeß des Ausprobierens, Verwerfens und Verbesserns hat die Sprachgemeinschaft Schreibweisen entwickelt, von denen die geeignetsten schließlich zur Norm erhoben wurden. Die heutige Wissenschaft bezeichnet solche Vorgänge als Selbstorganisation, früher sprach man vom ,Wirken der Unsichtbaren Hand‘. Dabei wird der Gesamtheit aller Schreibenden eine Intelligenz zuerkannt, welche über die Intelligenz der einzelnen Menschen hinausgeht und so ein Optimum erreicht.

Da das Ergebnis gewachsen ist und nicht konstruiert, kann es nur schwer in Regeln gefaßt werden. Dies ist zunächst auch nicht nötig, denn wer seine Muttersprache beherrscht, der spricht und schreibt, ohne sich über zugrunde liegende Strukturen Rechenschaft abzulegen. Wer nun doch Regeln sucht, zum Beispiel aus wissenschaftlichem Interesse oder um Ausländern und Gymnasiasten das Erlernen der deutschen Sprache zu erleichtern, sollte im Geiste eines Entdeckers an diese Aufgabe herangehen. Es gilt, die gegebenen Strukturen eines Systems zu erforschen, nicht, selbst Strukturen zu erfinden. – Dies ist ein Punkt, der durch die Rechtschreibreformer mißachtet wurde.

Nun stellte sich heraus, daß es in der Rechtschreibung nicht durchweg durchgängige Regeln gibt, sondern verschiedene Regeln so zusammenwirken, daß mal die eine und mal die andere zum Tragen kommt – das ist ein Umstand, der bereits Konrad Duden bekannt war. Dies war auch nicht anders zu erwarten, Regeln sind nicht so einfach die angemessenen Werkzeuge, um komplexe Systeme zu beschreiben. Ähnliches findet sich heute in selbstlernenden Systemen – sie sind dermaßen komplex, daß nicht mehr nachvollziehbar ist, wie sie zu ihren Ergebnissen gelangen.
Nun kann man in der Rechtschreibung wohl versuchen, manche Schreibweisen zu verändern, um sie an eine irgendwie, irgendwo erkannte Regelmäßigkeit anzupassen und so ,systematischer‘ zu werden. Doch da mehrere Regeln ineinandergreifen, ist dies nur zum Preise der Verletzung anderer Regeln möglich. Da nun aber die ,Unsichtbare Hand‘ ein Optimum erreicht hat, kann sich in der Summe nur eine Verschlechterung ergeben.
Solche Systematisierungen, entstanden aus einem Scheuklappenblick auf einen größeren Problemkreis, werden von Reformern fälschlicherweise oft sogar als ,logischer‘ bezeichnet.

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Ein Vergleichsbeispiel aus der Ökologie mag zur Veranschaulichung dienen. Je komplexer und reichhaltiger Ökosysteme sind, desto weniger störanfällig sind sie bei plötzlichen Schwankungen der Umweltbedingungen; und andererseits desto anpassungsfähiger bei anhaltenden Änderungen der Umweltbedingungen – Monokulturen vertragen nicht gut Störungen.

Auf die Sprache übertragen heißt dies: Komplexität garantiert einerseits Stabilität trotz des Einflusses von Sprachmoden und ermöglicht andererseits Anpassung an neue historische Gegebenheiten unter Beibehaltung der meisten Strukturen.

Ein Beispiel aus der Rechtschreibreform ist die Neuregelung der Getrennt- und Zusammenschreibung. Glücklicherweise ist sie größtenteils wieder zurückgenommen worden – ihre Durchsetzung hätte die Möglichkeiten zur Bildung neuer Begriffe eingeschränkt und damit die Anpassungsfähigkeit der Schriftsprache an neue Verhältnisse.

Hiermit ist auch die Unterstellung entkräftet, Reformgegner wären nur gegen jegliche Veränderung. Im Gegenteil – sie wollen die Flexibilität der Sprache erhalten.

Abschließend das anschauliche Beispiel, das gleichzeitig als Gruß an die ,Bewegung mit ß‘ gedacht ist sowie als Dank für ihre Unterstützung – nämlich die reformierte ss-ß-Regelung.

An dieser Stelle Dank für Ihre Aufmerksamkeit bei dem Einstieg in das vielschichtige und spannende Thema Rechtschreibung
und leider auch in das unerfreuliche Thema Rechtschreibreform.

Mit vielen Grüßen nach Schleswig-Holstein wünscht Ihnen – trotz der geographischen Entfernung, verbunden in der Sache – einen erbaulichen und lehrreichen Abend

Ulrich Brosinsky

Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e. V.